Beschreibung
Von Zeit zu Zeit ist es an der Zeit, an die Zeit zu denken. Anstoß hierzu war für mich die überraschende Erkenntnis, dass ich zum zehnten Mal den "Liturgischen Kalender" in Folge mitbetreuen darf. Gegenüber seinem stolzen Alter von mehr als hundert Jahren (siehe Anhang) ist meine Mitarbeit bescheiden, doch wie schnell das Jahrzehnt vorübergezogen ist, das hat mich einmal mehr zum Nachsinnen gebracht. Dabei ist dies eine allgemein-menschliche Erfahrung, wie unterschiedlich uns Zeit begegnet; es gibt Augenblicke, die wie im Wind verfliegen, aber auch andere, in denen sie bleiern und zäh kaum zu vergehen wissen. Beim Älterwerden wiederum scheint die Zeit zusammenzurücken, Ereignisse und Geschehnisse sind präsent, doch oft ist die richtige Chronologie schwierig, die Zuordnung in ein genaues Jahr nur mit Hilfe eines Kalenders möglich. Auf diesem Hintergrund entstand die Idee, die Dekade einmal als einen perenniernden Liturgischen Kalender zu betrachten und die über die Jahre verteilten eigenen Beiträge zusammenzustellen; denn in diesen Wortmeldungen sind die jeweiligen Erfahrungen und Gedanken gebündelt, die einen zu jenem Zeitpunkt beschäftigten. Dabei darf allerdings der Hinweis vom großen argentinischen Schriftsteller Jorge Luis Borges nicht vergessen werden: "Sobald ich sie geschrieben habe, nützt mir diese Zeile nichts, denn wie schon gesagt kam sie mir vom Heiligen Geist aus meinem Unterbewussten oder vielleicht von einem anderen Autor. Ich stelle oft fest, dass ich nur etwas zitiere, was ich vor längerer Zeit gelesen habe, und das wird dann zu einer Wiederentdeckung." So will diese kleine Sammlung vor allem zeigen, wie sich - den Jahresringen eines Baumes vergleichbar - an den wiederkehrenden Anlässen des Liturgischen Jahresablaufes Erfahrungen und Erkenntnisse anlegen, die sowohl uns prägen, als auch uns wachsen und reifen lassen. Wie die Natur den Rhythmus der Jahreszeiten braucht, so bedürfen wir Menschen des Rhythmus der Feste, vielleicht besonders heute in einer Welt, die sich rasant verändert. So bleibt gültig, was kein geringerer als Rainer Maria Rilke ins poetische Wort gebracht hat: "Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, / die sich über die Dinge ziehn. / Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen, / aber versuchen will ich ihn."