Beschreibung
Sprache und Gewalt können ohne Zweifel gegeneinander wirken: Die dialogische Kraft des Gesprächs vermag den gewaltsamen Konflikt zu suspendieren. Zugleich jedoch bilden Sprache und Gewalt nicht nur einen Gegensatz, sondern sind auch aufeinander bezogen: So können wir in der Sprache vergangene Gewalttaten wieder wachrufen oder zukünftige androhen. Doch Sprache und Gewalt sind auch ineinander verwoben: Sprache selbst kann verletzen. Die Edition fragt nach diesem intrinsischen Zusammenhang von Sprache und Gewalt. Sie zeigt anhand von unterschiedlichen philosophischen Grundpositionen, dass sich die Gewalt der Sprache vom verletzenden Sprechakt auf der einen bis hin zur strukturellen Ur-Gewalt der Sprache auf der anderen Seite erstreckt. Die Gewalt der Sprache entfaltet der Sammelband anhand von ausgewählten Autorenportraits, die vom philosophischen Klassiker (Platon oder Hobbes) bis hin zu viel diskutierten Gegenwartsdenkerinnen und -denkern reichen (Honneth oder Butler). Ihren philosophischen Gesprächspartnern nähern sich diese Porträts dabei auf unterschiedlichen Wegen: Ein Teil der Beiträge hat eher einführenden Charakter und stellt einen etablierten Denker im Diskurs um sprachliche Gewalt vor (etwa Nietzsche oder Derrida). Ein anderer Teil der Beiträge setzt sich mit solchen Philosophien auseinander, bei denen sprachliche Gewalt ein bisher nur wenig beachtetes Motiv darstellt (etwa bei Hegel oder Wittgenstein). Ein letzter Teil schließlich widmet sich gerade jenen Philosophen, bei denen Sprache und Gewalt Antipoden bilden (etwa Buber oder Habermas), um diese Entgegensetzung gegen den Strich zu lesen. Drei unterschiedliche Zugänge zu Philosophien sprachlicher Gewalt lassen sich also unterscheiden: Der rekonstruktive Zugang arbeitet ein bestimmtes Konzepte sprachlicher Gewalt bei einem Philosophen heraus. Der konstruktive Zugang erarbeitet ein spezifisches Verständnis sprachlicher Gewalt mit einer bestimmten Philosophin. Der dekonstruktive Zugang schließlich versucht die Überlegungen eines Philosophen zur Entgegensetzung von Sprache und Gewalt gegen diesen selbst zu denken. Rekonstruktion, Konstruktion, Dekonstruktion - das sind also die grundlegenden Lektürestrategien der Beiträge. Während die rekonstruktiven Beiträge eine Einführung in die festen Größen der noch jungen Debatte um sprachliche Gewalt bieten, erschließen die Beiträge mit konstruktiven und dekonstruktiven Lesarten das Potenzial bislang weitgehend vernachlässigter Positionen. Auf diese Weise macht diese Edition eine ganze Reihe philosophischer Grundpositionen überhaupt erst für den Diskurs um sprachliche Gewalt zugänglich. Deren Bandbreite lässt sich holzschnittartig folgendermaßen unterteilen: (1) Als Beleidigung, Herabsetzung oder Demütigung kann sprachliche Gewalt in Form von konkreten Sprechakten auftreten. Diese Ebene der Gewalt ist im Anschluss an John L. Austins performative Äußerungen untersucht worden: Sprechen ist in dieser Hinsicht nicht nur ein Tun, sondern zugleich auch ein An-Tun. Im Anschluss an Austins Konzept des Performativen hat Pierre Bourdieu gezeigt, dass das Kränkungspotenzial der Rede in gesellschaftlichen Praktiken und Konventionen wurzelt. (2) Stärker sozialphilosophisch angelegte Theorien fragen dagegen eher nach den Bedingungen der Möglichkeit menschlicher Verletzbarkeit durch Sprache. Philosophinnen und Philosophen dieses Paradigmas versuchen die Verletzbarkeit durch Worte vor dem Hintergrund zu verstehen, dass Sprache nicht nur Medium der Information oder Verständigung ist, sondern vor allem eine Instanz, welche die Einzelnen durch ihre Ansprache ins Leben ruft. Während die Anrufung mit dem Eigennamen Identität stiftet, so argumentiert etwa Judith Butler, droht in der beleidigenden Benennung mit Schimpfnamen der traumatische Verlust von Identität. (3) Eine weitere Perspektive wird von diskursanalytisch orientierten Ansätzen wie etwa denjenigen von Michel Foucault oder Gayatri Spivak eingebracht. In diesem Rahmen wird die der Sprache innewohnende Gewalt in historisch situierten Regulierungen dessen verortet, was überhaupt zur Sprache kommen kann. (4) Der Zusammenhang von Sprache und Gewalt kann jedoch noch fundamentaler verstanden werden: So unterschiedliche Philosophen wie Nietzsche, Adorno oder auch Derrida haben auf je verschiedene Weise herausgearbeitet, inwiefern Gewalt nicht nur mit Worten ausgeübt wird, sondern in der Struktur der Sprache selbst liegt, weil die Verfahren der Prädikation und Identifikation darauf beruhen, vom Einzelnen zu abstrahieren, um damit das Ungleiche auf einen Nenner zu bringen. Bereits der Sprache als Logos kommt dieser Perspektive zufolge daher immer schon eine eigene Gewaltsamkeit zu.
Autorenportrait
Hannes Kuch, M. A., studierte Philosophie, Soziologie und Volkswirtschaftslehre in Frankfurt am Main und an der FU Berlin. Promoviert derzeit in Philosophie zu einer Theorie der symbolischen Macht im Anschluss an Hegels Herr/Knecht-Figur. Steffen K. Herrmann, M. A., studierte Philosophie, Soziologie und Literatur in Frankfurt am Main und Berlin. Promoviert derzeit mit einer Arbeit über 'Symbolische Verletzbarkeit. Über Anerkennung und Missachtung' zur Gewalt der Sprache im Anschluss an Hegel und Levinas. Die beiden Herausgeber sind wissenschaftliche Mitarbeiter an der FU Berlin am SFB Kulturen des Performativen im Projekt 'Zur Performanz sprachlicher Gewalt oder: Warum Worte verletzen'. Zusammen mit Sybille Krämer haben sie herausgegeben: Verletzende Worte. Die Grammatik sprachlicher Missachtung, Bielefeld 2007.