Beschreibung
Das Interesse an Glücksvorstellungen und ihrer interdisziplinären Erforschung nimmt weiterhin zu. In das Oeuvre deutscher Schriftsteller/innen von der mittleren Aufklärung bis in die Romantik hat die Glücksidee breiten Eingang gefunden. Trotzdem fehlt bisher eine Einzeluntersuchung, die eine umfassende Zusammenschau literarisch-ästhetisch verarbeiteter Glücksvorstellungen für diesen Zeitraum liefert. Angesichts dieses Ergänzungsbedarfs setzt sich die vorliegende Studie mit den unterschiedlichen Erscheinungsformen des Glücks sowie mit den zahlreichen Ebenen und Schichten von Glückserfahrung in kanonischen Romanen von Wieland, La Roche, Goethe, Heinse, Moritz, Tieck und Mereau-Brentano auseinander. Sie orientiert sich dabei an moralphilosophischen, psychoanalytischen und soziologischen Ansätzen. Berücksichtigt wird beispielsweise die Glücks(un)fähigkeit der jeweiligen Romanfiguren. Da subjektivistische Glückswahrnehmung der praktischen Eudaimonia einer normativen Lebenskunstlehre zuwiderläuft, geht es den Romangestalten, deren Glückskonzeptionen sich je nach Alter, Geschlecht, körperlichem Befinden und Sozialstand voneinander unterscheiden, immer wieder um den Fragenkomplex: Welche ist die richtige Auffassung von diesseitigem Glück? Auf welche Weise versichert man sich dieses Zustandes? Kann man zum Glück erzogen werden (Rousseau)? Gibt es greifbare Mittel zur Erreichung und Absicherung von Felicitas, ohne die Vorschriften einer moralphilosophisch ausgerichteten Tugend- und Pflichtethik befolgen zu müssen? Hat die theozentrische Beatitudo-Vorstellung der mittelalterlichen Scholastik noch einen Sinn? Solche Fragen spiegeln die gedankliche Dichte der nuancierten Glücksdiskurse (Rousseau, Herder, Kant) der Zeit wider. Die Studie befasst sich ferner mit der (prekären) Interaktion von individuellen Glücksansprüchen und gemeinwohlorientierten Interessen und Desiderata, die unter staatswissenschaftlichen (Wieland), sozialethischen (La Roche, Goethe) und kulturutopischen (Heinse) Gesichtspunkten im Roman thematisiert werden. Die Dialektik von kollektiver und privater Glückserfüllung bezeugt dabei den geistesgeschichtlichen Wandel vom Prinzip der Glücksmaximierung der Massen (Aufklärung) zur Optimierung individuellen Wohlergehens (Romantik).