Beschreibung
Im 19. Jahrhundert büßt das Christentum in Europa endgültig seine Vormachtstellung ein. Der Verlust der sinngebenden, absoluten Instanz "Gott" bewirkt einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel und zwingt das Individuum dazu, seine Identität aus sich heraus neu zu definieren. Von dieser Gegebenheit ausgehend werden unterschiedliche Identitätsmodelle untersucht und ein gemeinsamer Ursprung, die "existenzielle Identität", herausgearbeitet und definiert. Dabei werden philosophische, soziologische, psychologische sowie sprach- und literaturwissenschaftliche Ansätze berücksichtigt. Die Hauptfiguren drei herausragender europäischer Romane dienen als Beispiel für den existenziell verlorenen modernen Menschen: Das Werk A rebours (1884) von Joris-Karl Huysmans ist eines der wichtigsten Texte der französischen Décadence; eine Strömung, die nicht nur auf literarisch-ästhetischer Ebene nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten sucht. Die Hauptfigur des Esseintes versucht, ein völlig neues Lebensmodell auf der Basis des Ästhetisch-Künstlichen aufzubauen und sich selbst zum Schöpfer seiner individuellen Welt zu erheben. Friedrich Nietzsches Muse Lou Andreas-Salomé veröffentlicht 1885 den ersten von ihm inspirierten Roman Im Kampf um Gott. Der Priestersohn Kuno verliert in seiner Kindheit den Glauben an Gott und muss von diesem Zeitpunkt an sein Leben lang um einen neuen Glauben kämpfen. Miguel de Unamuno ist ein bedeutender Repräsentant der "Generación del '98", der Generation, die die Identitätskrise der ehemaligen Weltmacht Spanien literarisch verarbeitet. In seiner phantastischen Tragikomödie Niebla (1914) trifft die Hauptfigur Augusto Pérez auf ihren Schöpfer, Unamuno selbst. Trotz unterschiedlicher Genres und Stile thematisieren die Werke unabhängig voneinander den Verlust einer absoluten Instanz sowie die Folgen für Individuum und Gesellschaft. Die Suche nach modernen Wegen des Selbstverständnisses führt zu bisher unbekannter Freiheit, aber auch zu Orientierungslosigkeit und neuer moralischer Verantwortung. Dies sind grundlegende Fragestellungen, mit denen der abendländische Mensch auch im 21. Jahrhundert konfrontiert wird.
Autorenportrait
Anke Anni Ernst, geboren 1983 in Togo, wuchs in Panama, Spanien und Deutschland auf. Nach dem Abitur und einem mehrmonatigen Aufenthalt in Thailand studierte sie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und der Pariser Sorbonne (Paris IV) Vergleichende Literaturwissenschaft sowie Spanische und Französische Philologie. 2009 schloss sie ihr Studium mit der Note "sehr gut" ab. In zahlreichen Reisen und vielfältigen Tätigkeiten, die ihre interkulturelle Kompetenz erweiterten, ging sie ihrem Interesse für Weltbilder und Identitätsmodelle anderer Menschen und Kulturen nach. So arbeitete sie als Spanischtutorin am Sprachlernzentrum der Universität Bonn, Redaktionshilfe in der Sendeleitung des Fernsehsenders Phoenix, Tänzerin, Regieassistentin und als ehrenamtliche Jugendgruppenleiterin. Ihr akademischer und privater Werdegang motivierten sie, sich mit der Thematik dieser Studie eingehend zu befassen.