Beschreibung
Das deviante weibliche Verhalten in der griechischen Tragödie wird in zwei Gruppen von Frauen gefasst, nämlich in Frauen, die von ihrer Gender-Rolle sich entfernen (s. aischyleische Klytaimestra, euripideische Medea) und dabei männliche Verhaltensräume usurpieren, und Frauen, die ihre weibliche Rolle übertrieben ausleben (s. sophokleische Deianeira). Beide Gruppen abweichenden weiblichen Verhaltens werden von zugeschriebenem Wahn begleitet, der szenisch ebenfalls gestaltet wird. Denn das weibliche Herauskommen aus dem Oikos und Hereintreten in die Bühne korrelieren gewöhnlich mit dem weiblichen Wahnsinn, der kodierte Gender-Rollen verletzt. Dieser Wahn ist, anders als der gottgeschickte männliche Wahn eines Aias oder Herakles, ein soziales negatives Etikettieren, das zur Festigung der Geschlechternormen führt. Andererseits aber bietet dieser Wahn den Frauen einen von dem Patriarchat unabhängigen Aktionsraum, wo sie eine originale weibliche Rede und Verhaltensweise aufzeigen, ohne lediglich, wie die ältere Forschung es wollte, das Andere für den Mann zu spielen. Der weibliche Wahn eröffnet ebenso für das Publikum einen Ort, auf den Fehlbarkeit, Mangel, Krankheit projiziert werden, die in der Hinterfragung verfestigter sozialer Vorstellungen ihrerseits Veränderungen im sozialen Pakt denkbar machen.