Beschreibung
Über das Schreiben von Tönen und Klingen von Bildern Notenschrift ist ihrem Wesen nach dazu bestimmt, ephemere Zeitphänomene schriftlich zu fixieren. Im Laufe der Geschichte entstanden verschiedene Notationssysteme, die zwischen Mittelalter und Moderne fortwährend weiterentwickelt wurden. Die im vorliegenden Band gesammelten Aufsätze nehmen diese beiden für die Frage nach der visuellen Qualität von Notation zentralen Epochen in den Fokus. «Wenn der Mensch Töne nicht im Gedächtnis bewahrt, gehen sie verloren, denn man kann sie nicht aufschreiben», sagt Isidor von Sevilla zu Beginn des 7. Jahrhunderts in seinen Etymologiae. Doch bereits ab dem 9. Jahrhundert breitete sich eine erste Verschriftlichung des liturgischen Gesangs in Neumen aus. Mit den zunehmenden räumlichen Darstellungsweisen der Tonhöhen ab dem 11. Jahrhundert und mit der Notenschrift der musica mensurabilis ab dem 13. Jahrhundert setzten sich Systeme durch, die rhythmisch proportionierte Dauerver hältnisse schriftlich erfassen konnten. Daraus entwickelte sich eine musikalische Notation, die bis in die Gegenwart reichen sollte. Seit den 1950er Jahren entstand parallel dazu eine neue Form des Notierens, die grafische Notation, die auf einer tiefgehenden Verschränkung des Auditiven und des Ikonischen gründet. Aus einer bildtheoretischen Perspektive setzen sich die Beiträge in diesem Band mit verschiedenen Formen der Niederschrift akustischer Phänomene auseinander. Einzelaspekte wie Gedächtnis, Performanz und das Verhältnis von Notation und Schrift werden in sieben Aufsätzen und einer Einleitung diskutiert. Inhalt Matteo Nanni: «Quia scribi non possunt». Gedanken zur Schrift des Ephemeren Volker Mertens: Aufführung im Kopf. Schrift, Klang, Manuskripte Max Haas: Mensuralnotation als Bild. Mathematik und Physik als Grundlagenwissenschaften für das Visualisieren von Musik in mittelalterlicher Sicht Dorit Tanay: The Visible and the Invisible: Rhythmic Notation in the Late Middle Ages Peter Szendy: Notation, annotation, punctuation Christian Grüny: Musik als Schrift. Die Elemente des Erklingenden und die Notation David Magnus: Aurale Latenzen. Über Gestalt und Operativität in der bildlichen Notation Gianmario Borio: Die Darstellung des Undarstellbaren. Zum Verhältnis von Zeichen und Performanz in der Musik des 20. Jahrhunderts
Autorenportrait
Matteo Nanni, geboren 1970, Studium der Musikwissenschaft, Philosophie und Romanistik in Cremona und Freiburg i. Br., 2003 Promotion zur Musik des 20. Jahrhunderts, seit 2009 Mitglied des NFS «Bildkritik/eikones», 2014 Habilitation zum italienischen Trecento, von 2011 bis 2015 Assistenzprofessor im Bereich der älteren Musikgeschichte am Musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Basel, seit Oktober 2015 Professor für historische Musikwissenschaft an der Universität Gießen.