Beschreibung
Clarice Lispector (1920-1977) wurde in der Ukraine geboren und lebte nach ihrer Flucht vor allem in Rio de Janeiro. Ihr dichterisches Werk wurde wenig erschlossen, gehört aber unbestritten zur Weltliteratur. Ihr Schreiben folgt dem unbedingten Verlangen nach der Unmittelbarkeit des Lebens. Lispector will den bebenden, lebendigen Nerv des Jetzt spüren. Die Figuren ihrer Romane und Erzählungen treten aus einem vorgezeichneten Leben und vollziehen einen vielleicht unmöglichen Prozess der Befreiung. Lispectors Texte denken das Leben nicht in Form von Grenzen zwischen Natur und Kultur, sondern als ständige Vermischung. Die Natur ist kein getrennter Raum, sie ist einnehmend: sie umgarnt () mit Haut und Haaren und ist sexuell lebendig. Sie verschlingt und überwuchert das wahrnehmende Ich und auch den Raum der Schrift. Das Schreiben soll zur pflanzlichen Substanz oder zum lebendigen Wasser werden. Statt die Natur in einen äußeren Raum zurückzudrängen und aus der Distanz des Denkens heraus zu beschreiben, nähern sich ihre Texte dem organischen Leben an und erzählen von einer anderen Welt. Lispector sucht nach der dichten Wildnis der Wörter. Dies vereint in der Mannigfaltigkeit ihrer Texte und Erzählformen ihr schriftstellerisches Unternehmen, das dieser einführende Essay in einigen grundlegenden Zügen in den Blick nimmt.