Beschreibung
Das Sonett erlebt in der Frühen Neuzeit in vielen europäischen Ländern - wie Frankreich, Spanien, England und Deutschland - überhaupt erst seine erste Blüte. Der Einfluß geht hier natürlich von Italien als dem Ursprungsland des Sonetts aus. Bedeutsam für die Sonettgeschichte ist diese europäische Blütephase dabei nicht nur wegen der Quantität der verfertigten Sonette, sondern vor allem wegen deren Qualität. In dieser Zeit vollzieht sich nämlich vor allem in Frankreich, Spanien und Deutschland eine außerordentliche Ausweitung des Themenspektrums des Sonetts. Die Form, die ursprünglich - in der Nachahmung Petrarcas - vorwiegend der Liebesdichtung vorbehalten war, wird nun den unterschiedlichsten Themen aus dem Bereich der erfahrbaren menschlichen Wirklichkeit gewidmet. So erfüllt das Sonett hier die Funktion der Verarbeitung und Speicherung von Weltwissen, das sich gebündelt in der poetischen Form der Sonett-Zyklen wie ein enzyklopädisches Wissen darstellt. Zurückzuführen ist dies vor allem auf die studia humanitatis, die in dieser Zeit vollzogene Rezeption der aristotelischen Poetik, welche der Poesie die Funktion der mimesis der Praxis (darunter auch die Gegenstände kognitiver Vorgänge) zuweist, und das Bewußtsein eines grundlegenden Funktionswandels des Sonetts, das in den Poetiken der damaligen Zeit in eine typologische Nähe zum Epigramm gestellt wird. Die Untersuchung führt auf systematische Weise repräsentative Ergebnisse des Prozesses der thematischen Entgrenzung des Sonetts im Rahmen ausführlicher Einzelanalysen und komparatistischer Betrachtungen vor Augen. Beatrice Nickel ist Akademische Rätin am Lehrstuhl für Romanistik I der Universität Stuttgart. Zu ihren Forschungsgebieten gehört neben dem Sonett der Frühen Neuzeit die Literatur der Avantgarde.